Salutogenese

Gewohnheiten, Risikoverhalten und Salutogenese

Zum Einstieg in das Thema „Salutogenese“ eine möglicherweise bekannte Antwort: „Mein Großvater hat sein Leben lang geraucht/ zu fett gegessen, … und ist auch 90 Jahre alt geworden.“ Haben Sie schon einmal jemanden gebeten, das Rauchen aufzuhören/ gesünder zu essen, etc., … und dies zur Antwort bekommen? Mir ist es schon einmal so ergangen. Ich habe über diese Antwort nachgedacht und bin zum Entschluss gekommen, dass es tatsächlich Personen gibt, die verschiedenste Risikoverhaltensweisen ausüben und trotzdem nicht krank werden.

Salutogenese

Bei meinen Recherchen bin ich auf das Konzept der Salutogenese gestoßen, welches vielleicht einen theoretischen Erklärungsansatz bietet. Dieses Konzept wurde vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky 1997 entwickelt. Antonovsky kritisierte vor allem das herkömmliche medizinische Krankheitsmodell, das nur nach Ursachen und Risikofaktoren von Krankheiten forscht. Er ging vorrangig der Frage nach, warum Menschen gesund bleiben.

Dabei bediente er sich der Metapher eines Flusses: Der Fluss ist der Strom des Lebens; niemand geht sicher am Ufer entlang. Ein Teil des Flusses ist verschmutzt. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. Es stellt sich die Frage: „Wie wird man, wo immer man sich in diesem Fluss befindet, ein guter Schwimmer?“. Primär geht es um die Bedingungen von Gesundheit und Faktoren, welche die Gesundheit schützen und erhalten.

Antonovsky macht keine Trennung in gesund und krank, sondern stellt ein Kontinuum mit den Polen Gesundheit/ körperliches Wohlbefinden und Krankheit/ körperliches Missempfinden gegenüber. Weder völlige Gesundheit noch völlige Krankheit sind für lebende Organismen wirklich zu erreichen. Jeder Mensch, der gesund ist, hat auch kranke Anteile in sich. Solange Menschen am Leben sind, sind auch noch Teile von ihnen gesund. Die Frage ist also nicht, ob jemand gesund oder krank ist, sondern wie nahe bzw. entfernt er von den Endpunkten Gesundheit und Krankheit jeweils ist.

Salutogenetisches Modell (Antonovsky):

Den zentralen Aspekt des salutogenetischen Modells bildet das Kohärenzgefühl. Damit sind ein Grundgefühl und zugleich auch eine Wahrnehmungsweise der Welt gemeint, dass wir das, was um uns herum geschieht, ausreichend verstehen und auch beeinflussen können. Wir sind nicht hilflos, sondern verfügen über innere und äußere Hilfsquellen mit denen wir Schwierigkeiten meistern können. Es bestimmt, ob wir bei Belastung körperlich und seelisch gesund bleiben, beziehungsweise im Erkrankungsfall möglichst schnell wieder gesund werden oder nicht. Von unserem Kohärenzgefühl ist auch abhängig, wie wir z.B. nach einem Unfall mit bleibenden Einschränkungen im Leben weiter zurechtkommen.

Kohärenzsinn & Koherenzgefühl

Der Kohärenzsinn beschreibt eine mit dem Kohärenzgefühl einhergehende und an gedankliche Aktivität geknüpfte Weltsicht:

1. Dass die Welt verständlich, stimmig und geordnet erlebt wird; auch Probleme und Belastungen, die man erlebt, kann man in einem größeren Zusammenhang begreifen (Verstehbarkeit).

2. Dass das Leben Aufgaben stellt, die man lösen kann. Aber auch dass man über Ressourcen verfügt, die man zur Meisterung des Lebens und der aktuellen Probleme einsetzen kann (Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit).

3. Dass für meine Lebensführung die Anstrengungen auch sinnvoll sind. Dass es Ziele und Projekte gibt, für die es sich zu engagieren lohnt (Sinnhaftigkeit).

Antonovsky sieht diese motivationale Komponente als den wichtigsten Aspekt des Kohärenzgefühls an, denn ohne das Erleben von Sinnhaftigkeit neigt der Mensch dazu, das Leben vor allem als Last zu empfinden und jede weitere sich stellende Aufgabe als Qual.

Wirkung eines ausgeprägten Kohärenzgefühles

Ein stark ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass man flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Es entwickelt sich im Laufe der Kindheit und Jugend und wird von den gesammelten Erfahrungen und Erlebnissen beeinflusst. Ressourcen wie Freundschaft, Liebe, Fantasie, Spiel, Motivation und sinnvoll empfundene Aufgaben sind entscheidend für die Entfaltung des Kohärenzgefühles. Es ist mit etwa dreißig Jahren ausgebildet und relativ stabil. Im Erwachsenenalter ist es deshalb nur noch schwer veränderbar, und eine solche Veränderung erfordert eine harte und kontinuierliche Arbeit. Ob sich ein starkes oder ein schwaches Kohärenzgefühl herausbildet, hängt vor allem von verschiedenen gesund erhaltenden oder wieder gesund machenden Kräften ab.

Generalisierte Widerstandsressourcen

Gesund erhaltenden Kräfte bezeichnete Antonovsky als „generalisierte Widerstandsressourcen“.

Ein Beispiel: Sie liegen mit Grippe im Bett und fühlen sich elend. Aber Sie bekommen von Ihrem/Ihrer Partner/in Unterstützung; Sie werden von Ihm/Ihr liebevoll umsorgt; er/sie bringt Ihnen Tee, leistet Ihnen Gesellschaft und kocht Ihnen etwas Gutes. Sie sind der Krankheit nicht allein und hilflos ausgeliefert. Sie bekommen Unterstützung. Diese gesundheitsförderlichen (salutogenetischen) Kräfte – liebevolle Fürsorge, Geborgenheit – unterscheidet Antonovsky von krankmachenden (pathogenen) Faktoren. Zu pathogenen Faktoren würden die Grippeviren zählen.

Ein weiteres Beispiel: Alte Menschen blühen auf, wenn sie sich in einem sozialen Kontext liebevoll eingebunden wissen. Die Gespräche mit Menschen, mit denen sie sich verbunden und als Person anerkannt fühlen, hält sie gesund. Im Gegensatz dazu kann man an Einsamkeit und fehlender Unterstützung zerbrechen. Menschen in Einzelhaft werden buchstäblich mürbe gemacht.

Kohärenzgefühl und Resilienz

Diese beiden Begriffe hängen eng miteinander zusammen. Mit „Resilienz“ wird die psychische und physische Stärke bezeichnet, die es Menschen ermöglicht, Lebenskrisen ohne langfristige Beeinträchtigung zu meistern. Resilienz wird im Verlauf der Entwicklung im Kontext der Kind-Umwelt-Interaktion erworben und durch verschiedene Schutzfaktoren begünstigt (z.B. eine positiv-emotionale und stabile Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson, familiärer Zusammenhalt, unterstützende Geschwisterbeziehungen, religiöser Glaube, adäquate Kommunikation, das Eingebundensein der Familie in soziale Netzwerke, Freundschaften, …)

Resiliente Menschen …

  • akzeptieren Krisen und die damit verbundenen Gefühle
  • lassen sich Zeit
  • suchen nach Lösungen
  • grübeln nicht unentwegt über ein Problem nach, sondern sind sogar im tiefsten Schmerz in der Lage, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen
  • lösen ihre Probleme nicht allein
  • bleiben optimistisch
  • geben sich nicht selbst die Schuld, sondern erkennen auch, was andere oder die Umstände dazu beigetragen haben
  • planen voraus
  • Sie werden von den Wendepunkten des Lebens und den damit verbundenen Problemen nicht völlig überrascht.

Das Konzept der Salutogenese ist ein sehr positives und menschliches Gesundheitskonzept. Darauf aufbauend sollten wir nicht nur nach Fehlern und Störungen suchen, sondern nach Kräften, die seelische und körperliche Gesundheit ermöglichen. Gesundheit ist eines der wertvollsten Güter, die wir zur Verfügung haben und oft nehmen wir die Gesundheit überhaupt nicht mehr wahr. Erst, wenn wir krank sind, merken wir, was uns fehlt. Wir sollten akzeptieren, dass wir auch kranke Anteile in uns haben, die genau so zu uns gehören, wie die gesunden Anteile.
Zur Erhaltung unserer Gesundheit sollten wir uns auf eine innere Schatzsuche begeben. Wir sollten versuchen, wieder mehr in uns hineinzuhorchen was uns gut tut, was wir brauchen und was uns wichtig ist im Leben – und nicht nur das zu tun und zu denken, was die Gesellschaft von uns erwartet und fordert. Allein das Aufzeigen eines Weges, der möglicherweise zu dem führen kann, was mir Sinn macht, wirkt schon gesundheitsfördernd.

  • Autorin : Mag. Sabine Danner
    Quelle : http://www.tao.co.at/
    Literatur: Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, dgvt-Verlag
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